Ich lasse die Socken an, weil ich vergessen habe, was ich alles nicht kann.

Ich frage den Schaffner in welche Richtung der Zug losfährt, er trägt einen Ohrring, ich setze mich um. Ein Großvater und Enkel essen Waffeln aus dem Bordrestaurant, der Zucker klebt in der Luft. Am Bahnsteig sitzt eine Dame. Woher haben die Omas alle plötzlich ihre Locken her?
Zwischen grün und grün zieht das Kopfweh ein. Meine Hände sind kalt oder meine Stirn heiß. Zittrig rufe ich dich aus Nürnberg an, schlucke eine Schmerztablette. Ach, sagst du warm und ich steige wieder ein. Lockenwickler fällt mir ein. Die Locken.
Ich starre, in der Jackentasche eine Kotztüte. Speibsackerl. Draußen fliegen Rapsfelder und du wüsstest woran mich das erinnert.
Zuerst sehe ich einen Rock mit Leopardenmuster und Stiefel. Sie drückt mich und wir sitzen am Bahnsteig. Erstmal klarkommen. Leipzig ist der größte Kopfbahnhof sagt sie, wir gehen los. Die Gehwege sind breit.
Wir sitzen in der Küche. Das Fenster ist offen, ich zähle Schornsteine und sehe ihr beim Trauben essen zu. Der Mitbewohner rollt Nudelteig auf der Herdplatte. Wir reden über Luftdruck und Mondphasen. In der Weinflasche steckt eine Kerze. Beim Einschlafen berühren sich unsere Ellbogen und ich lasse die Socken an, weil ich vergessen habe, was ich alles nicht kann.

Frühstückst du auch herzhaft? Ich nicke. Das Fenster ist wieder offen, Vögel zwitschern, ich sende dir diesmal keine Aufnahme. Sie legt Gurkenscheiben auf bestrichene halbe Brötchen, ich esse eine Traube und denke, ja, das hat wirklich Herz. Der Tee schmeckt nach Marzipan und die Nasen sind noch verschlafen. Am Bett sitzend sehe ich ihr beim Schminken zu und fühle mich ein bisschen angekommen. Wie Zuhause beendet sie ihren Satz und die Tür fällt zu. Ich schließe das Fenster und ziehe alle Pullis an, die ich habe.

Ich laufe eine laute Straße entlang, vergrabe meine Händen in den Taschen und fühle die Kotztüte. Vor einer technischen Fakultät versucht ein Mann mit gesenktem Kopf in seiner Tupperdose zu verschwinden und knabbert vorsichtig an Karotten. Die Ampeln sind hier groß und alles fängt an zu surren. Zum Mittagessen sitze ich an einem Hochtisch und neben mir unterhalten sich zwei Männer über künstliche Intelligenz. Die nächsten zehn Jahre werden die bedeutendsten des Jahrhunderts. Ich trinke eine Ingwerlimo. An der Kasse steht eine Frau mit fliederlila Socken. Ja, alles vegan wiederholt die Kellnerin. Mein Nacken zerrt an meinem Kopf, ich lasse die Limo stehen und gehe. Einmal Kaugummi sage ich im Späti, dann fällt alles zusammen.

Im Bett, ja, ich weiß nicht ob ich kann, flüstere ich. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch kann. Kurz kann ich vielleicht, ja, ich komme, kurz. Sie sitzt mir im Cafe gegenüber. Ich trinke Kakao, er bleibt süß auf der Zunge liegen und mir wird übel. Versuche ein Hinschauen, sogar das dunkelblau schreit. Ein Mottorad rast wie Säure über meine Sinne. Mein Gesicht bröckelt, wir gehen wieder, die Milch schaukelt im Magen. Später erzähle ich ihr, dass ich die Tische schön fand. Sie nennt mich Herz.

Im dunklen Treppenhaus rufe ich dich an. Du verstehst mein Schweigen, erzählst von Texten und Nudeln, fragst in die Luft ohne Erwartung. Alles klemmt in mir. Ich stecke im Alten, für das ich zu groß geworden bin. Vielleicht versuche ich mich auch hinein zu drücken, wie in die Jacke, die mich an meine Kindheit erinnert und merke erst jetzt – Altes kratzt an den Rippen und im Hals.

Mir, ich starre an die Decke, geht´s nicht so gut, sage ich. Wir liegen im Bett. Die Welt möchte meinen Kopf raspeln, glaube ich, mein Hirn reiben wie Parmesan oder Karotten für Salat. Alles ist viel und ich bin zu wenig. Außer Angst und Oberschenkel, von denen habe ich mehr als genug. Ich sehe kurz rüber. Und wofür bist du dankbar, fragt sie. Ich überlege, sie macht das Licht aus.

Wir kaufen Karottenbrötchen und an der Busstation ist die Welt immer noch nicht weniger. In der Hocke halte ich mir die Ohren zu und sage Entschuldigung, ich bin gerade nicht da. Alles gut, meint sie, aber ich bin mir da nicht so sicher.

Wir schaukeln Wärmeflaschen auf den Bäuchen. Hier, nimm die letzte Pommes. Wir sehen alte Fotos an. Damals hätten wir uns auch schon gemocht, meint sie und ich würde sie gerne drücken, sage aber nur ja. Wahnsinn, waren meine Haare da lang, sagt sie. Wir reden über Haustiere und das Meer. Ich habe vergessen wie mein Hamster hieß.

Morgens sind ihre Augen hell und weich. Zum Frühstück trinken wir Schokotee. Ich stopfe alles in die Tasche und schreibe ihr eine Karte für später. Sie trägt meine Pflanze bis zum Bahnhof. Ich möchte dir alles zurück geben, sage ich in ihre Halsbeuge und meine eigentlich auch. Auch geben.

Ich gieße meine Pflanzen und klebe den Fotostreifen an die Wand. Stelle mir vor, wie sie Quatsch mit Soße sagt und lacht. Du hast mir Post Its geschrieben und die Heizung aufgedreht. Es regnet. Hannibal, Hannibal hieß der Hamster.

Kategorie Erzählungen und Eindrücke, Geschichten, Koffer, Kopf

Atmet und schläft in Wien. Arbeitet ebenda auch manchmal. An Illustrationen, Fisimatenten oder daran endlich die richtige Müllsack Größe zu kaufen. Macht manchen Sorgen und sich eine große Freude mit dem Studium der Sprachkunst. Schreibt über Fliederlila, Stromausfälle und Zitronenschaum. Irgendwas im Internet, ihre Oma ist sich da nicht so sicher, unter urbananouk.com. Mag Pfirsiche, aber nur die flachen.

1 Kommentare

  1. alexande

    Ob Hannibal jemals in Leipsch war? Er in der Geschichte so groß mit seinen Elefanten, und hier doch so klein als Hamster. Timo hiess er – mein Hamster. Ich glaube, er hätte gerne Deine Sensibilität gespürt. Hannibal als Re-Inkarnation des Timo würde den Kreis schliessen. Und am Frühstücks-Tisch um die Tischbeine rasen. Im Gaumen bleibt der Schoko-Tee. Im Zimmer die Pflanze. Kurzweilige Ewigkeit.

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