Schlagwort: geschichten

Frau Flügelnuss

Bei einem von Annas Writing Wilderness Schreibworkshops, hatte ich die Ehre Frau Flügelnuss zu interviewen. Lest was sie mir verraten hat.

BAUMINTERVIEW

Name: Flügelnuss
Größe: 10 m
Wohnort: Türkenschanzpark

Liebe Frau Flügelnuss, wie geht es Ihnen heute?

Nun, es ist ein angenehmer Morgen, wie gewöhnlich samstags, ich schätze die kühle Brise und beobachte die jungen Damen, die mir etwas nah rücken, aber nicht im aufdringlichen Sinne, mit Wohlwollen. Ja, es ist einer der guten Tage.

Frau Flügelnuss, warum neigen sie ihre Äste so dem Boden zu, ja, um es nicht hängen zu nennen?

Kindchen, das Leben ist schön, von leicht war nie Rede. Ja, so ganz ehrlich gesprochen, gehen die Sorgen des Lebens nicht mal an einer Dame wie mir gänzlich vorüber. Doch dadurch bin ich nicht nur dem Boden, sondern auch den Menschen und ihren Ängsten näher. Manchmal muss man herabhängen, um tiefe Verbindungen zu schließen.

Frau Flügelnuss, Sie tragen extravaganten Schmuck – zu welchem Anlass?

Eine Frau braucht keinen anderen Anlass als sich selbst. Jeden Frühling, aus purer Sonneneuphorie lege ich ihn an. Dann schwingt er durch Frühlingswinde. Und jetzt verrate ich ihnen etwas – im späten August, wenn der Park vor Hitze summt und der Himmel nicht mehr schwarz, sondern nur noch tiefblau wird, dann flattern sie wie Blumenkränze aus Hippie Tagen und ich schmunzle über mein junges Ich von damals, als alles noch Drama war.

Existenz in sattem gelb

eigentlich bin ich ja nur hergefahren, weil ich sonst nichts besseres zutun hatte und und jetzt ist es ganz schön schön, so hier und jetzt.
im buchladen schlendere ich herum, drehe buchrücken, kaufe eine kitschige guilty pleasure und warum denn eigentlich guilty? nun, man hat ja ansprüche an sich. und dann noch ein zweites, damit ich mich unter den blicken der verkäuferin nicht allzu flach fühle, so richtig was mit 19hundertsoundso, harter stoff eben, nicht nur das cover. und vielleicht ist das ja auch ziemlich doof, wahrscheinlich denkt sich die verkäuferin nichts und alles ist wieder in meinem kopf und ich springe nur wieder mit mir selber so hart um.
ich sitze draußen, an einem tisch, bei dessen größe ich mich schon an schuldgefühlen hindern muss, weil ich ihn so ganz allein okkupiere. aber vielleicht passt das ja auch zur situation, vielleicht muss ich einfach lernen meinen platz einzunehmen, ja mir meinen platz in der welt zuzugestehen.
ich trinke etwas, was ich nie mochte, es schmeckt als würde ich in eine wiese beißen, aber irgendwas hat geklickt und ich finde das jetzt gut und nicht mehr zum kopfschütteln. vielleicht sind die sieben jahre rum, in denen sich die geschlacksnerven erneuern, zumindest hat mir das mal jemand erzählt oder vielleicht ist geschmack dann doch mehr im kopf als auf der zunge.
während ich mit seiten raschle, bemühe ich mich langsame schlucke zu trinken, damit ich meine existenz hier im café rechtfertige mit dem stand der flüssigkeit in meinen glas. ich überlege, ob das jetzt auch nur in wien so sein kann, dass ich hier für wenige euros so lang sitze und dann denke ich mir, dass ich endlich weniger überlegen und mehr sitzen sollte, aber allein das ist ja schon wieder denken. sonst ist trinken aber eher eine sache von erledigen statt langsamkeit bei mir und viel zu oft vergesse ich es auch. vielleicht kann man sich ihn ja antrainieren, den durst auf trinken und vielleicht auch auf vieles andere.
der himmel ist sehr blau und man kann sogar große stücke davon sehen, mehr als in meiner gasse, aber weniger als zuhause. die wärme liegt ganz nah auf der haut und traure ihr schon nach, was ja an sich schwachsinn ist, aber das tue ich ja jedes jahr und never change a running system, das sagt man doch so.
neben mir unterhalten sich zwei frauen, die eine hat ihre roten schuhe neben dem tisch abgestellt und ihre beine um einander gerankt, ich kenne diesen freiheitsdrang der zehen. zweimal blicke ich zu lange hinüber und werde bemerkt, dann blicke ich demonstrativ nach links, versuche zu spüren, ob sie wieder wegblickt und lese dann weiter, im buch nicht in ihren gesten.
seit langem lese ich wieder über kapitel und kapitel hinüber, das buch ist so ganz anders als gedacht, aber es fliegt soviel leichter voran, weil es nicht mit schwere oder sinn behaftet ist.
dieses gemurmel, wenn gespräche verschwimmen, aber noch nicht zum lärm verklingen, ist wie sommer im ohr. manchmal bleibe ich dann doch hängen und gesichter laden sich mit stimmen und worten auf, bevor sie wieder verschwinden. dann muss ich heimlich zurück blättern, weil ich wieder eine seite bloß mit den augen und ohne hirn gelesen habe.
als ich meine zeit nun definitiv abgesessen habe und noch mal in die wiese beißen, das wäre dann doch zu viel, vielleicht ja in sieben jahren dann, zahle ich und gehe weiter.
der sommer will anscheinend auch seinen platz in der welt beweisen, seine existenzberechtigung und bestellt zwar kein getränk, aber setzt sich ganz einfach sattgelb in die straßen. kitschig ist das, aber dafür bin ich ja heimlich anfällig.
auf dem heimweg nehme ich die kurzweilige blindheit für das letzte warm im gesicht in kauf und lasse mich vom sommer blenden und denke für einen kurzen moment an nichts.

Das Meer malt Linien in den Sand

ich denke mich zurück in die sonne, bis mir das meer wieder um die knöchel spült.
eine welle zieht mir den sand unter den füßen weg und malt linien in den sand.
steine rollen über meine füße.
das wasser ist kalt und der wasserschaum so weich.
das meer grollt, in seiner tiefe schlagen steine aneinander, sand rieselt.
auf seine oberfläche malt der wind formen.
ich gehe wieder den weg entlang.
es riecht nach überreifen obst, das schon leicht vergoren am straßenrand liegt, so süß sauer stechend.
der orleander so pink,
eine eidechse verschwindet in einer steinritze.
die hitze macht mich müde.
müde, ach, der alltag macht mich müde,
in dem ich nun wieder aufwache.
gedanken sind freiheit, du bist frei.

HERBST 2017

Von Sockenschubladen und schwarzen Autositzen

ein schweißtropfen rinnt hinter meinem ohr,
die luft lässt sich anfassen.
wind, wie angene- ach doch nicht, auch der ist ofenwarm.
meine hände kleben, der schwarze autositz brennt unter meinen schenkeln.
ich verfluche die hitze.
wie jedes jahr vergesse ich die kälte, die idee einer jacke ist verschwunden.
drei socken für einen monat klingt realistisch.
barfuss, ich gehe immer barfuss zuhause.
meine zehen bestehen auf diese freiheit.
der letzte sommertag, alle sagen mir das, es klingt wie eine drohung – wenn du nich sofort das haus verlässt, wird der winter dich von innen heraus auffressen.
ich glaube ihnen nicht, es ist sommer.
plötzlich zähle ich meine jacken.
meine füße sind das erste mal kalt.
was bei den zehen anfängt, kann nicht aufgehalten werden.
sie kriecht langsam, aber beharrlich, die kälte.
du merkst erst wie kalt dir ist, wenn du dich umdrehst, um das duschwasser kälter zu drehen, weil es so brennt, nur um zu sehen das es ist wie immer. nur du nicht.
kalte finger, unter einer warmen decke.
wo ist der sommer. ich habs dir gesagt, sagst du.
und ich habe dir wie jedes jahr nicht geglaubt. und krame in der sockenschublade.

HERBST 2017

Mein Sommer

wie war dein sommer fragst du mich.
nickend und nichts sagend reden wir am gang.
der sommer wird von zeit zu einem ort, meinem ort denn du nie betreten wirst.
einem ort voller leben, sonne und lachen und weinen. ein ort an den nur mein sommer-ich und meine sommer-menschen gehören.
an deinem gesicht sehe ich wie schnell er vergangenen, aber an deinen haarspitzen auch wie ausgiebig und lang er war, der sommer.
und plötzlich sind da fristen, papier und fremde gänge voller menschen.
plötzlich sind wir wieder da, im geregelten rhythmus.
vielleicht sind unsere stifte noch vertrocknet, aber er hat uns wieder, der herbst.
die sommersprossen auf meiner nase verblassen langsam und meine füße sind das erste mal kalt.
ich trinke ingwer tee, muss gesund bleiben, sage ich, und klopfe dreimal auf den tisch.
es gibt wieder einen grund früher schlafen zu gehen, die notwendigkeit eines weckers.
schweifende sommer-gedanken verlieren ihren platz, die bahn ist voll und ich mittendrin.
das ist also das neue alte leben.
mein sommer war schön.
deiner hoffentlich auch.

HERBST 2017

Sommeretikette

es ist so heiß, dass alles platzen möchte.
die luft, die erde, genauso wie die äpfel auf der wiese.
mein kopf schwindelt vor pickigem vanillearoma, dass in den gassen hängt.
ein kind rennt mir entgegen, die sorge der mutter ist kleiner als die schwere in ihren beinen.
auf dem rücksitz schaukelt eine mineralwasserflasche, genauso ekelhaft lauwarm wie all unsere körperflüssigkeiten.
am kinn des kindes klebt das, was als erdbeer verkauft wird, rosa und klebrig.
die luft ist so süß, dass sie schon fast sauer riecht.
ein tropfen rinnt mein bein herunter und bleibt in der kniekehle sitzen, ich überlege ob meine mannerschnitten jetzt auch schmelzen, zuhause im regal.
die ganze stadt schwitzt lauthals leise, einige bäume vertschüssen sich schon in den herbst.
ich drehe die musik lauter, so als könnte sie die temperatur überdecken.
und während wien raunzend und haaas mit eisgefüllten bäuchen vor sich hin vegetiert, da pflege auch ich meine sommeretikett mit dem viertelstündlichen hinweis auf die hitze an jeden, der nicht eher flüchtet, aber wer tut das schon, bei 38,5.
hinter einem seufzer, so theatralisch wie es sich in der stadt, an der die milde arroganz von den stuckfassaden bröckelt, gehört, verstecke ich meine liebe.
meine liebe zu dieser abartigen hitze, dem gefühl dass es dir eine zelle nach der anderen wegbrennt, die gedanken so langsam wie bewegungen unter wasser, die stadt gelähmt und alles endlich nicht mehr rennt, sondern sich eine langsamkeit zugesteht und nichts außer die frage pistazie oder haselnuss oder doch zitrone einen sinn macht. / 

AUGUST 2018